Weihnachten ist für mich das einzige Fest, das untrennbar mit Gerüchen verbunden ist: nach frisch gebackenen Plätzchen, gerösteten Mandeln, ausgepusteten Kerzen und angekokelten Tannennadeln … Und es schmeckt nach etwas – nach Marzipan. Es ist noch nicht allzulange her, dass jeder gute Konditor pünktlich zum ersten Advent sein Schaufenster mit riesigen Figuren und ganzen Landschaften aus Marzipan und Zuckerguss dekorierte. Wobei die Konditoren in Lübeck und Königsberg in einem besonderen Wettstreit standen, wer das bessere Marzipan herstellt. In beiden Städten erzählte man früher, dass Anfang des 15. Jahrhunderts nach Missernten eine große Hungersnot geherrscht habe und man kein Brot backen konnte. Da seien die Konditoren auf die Idee gekommen, aus süßer Mandelmasse kleine Brote zu formen und „Markusbrot“ zu nennen, lateinisch panis Marcis …
Warum Leonardo da Vinci Marzipan hasste
Wirklich schade, dass das norddeutsche Klima für Mandelbäume ausgesprochen ungünstig ist. Marzipan, diese Köstlichkeit aus Mandeln, Zucker und Rosenwasser, stammt aus dem Orient, vielleicht aus Persien. In Europa tauchte es im 14. Jahrhundert auf, zuerst in Italien, Frankreich und Spanien. Könige und Fürsten rissen sich um das morgenländische Konfekt, das bei Hofe mit Blattgold überzogen und zu Skulpturen geformt wurde – ehe man es verspeiste. Leonardo da Vinci war um 1470 einigermaßen angesäuert, dass man am Hof der Sforza in Mailand die kunstvollen Marzipanfiguren, die er als Dekoration angefertigt hatte, einfach bis auf den letzten Krümel aufgegessen hatte.
Der süße Luxus uferte derart aus, dass der Rat in Venedig 1514 das Vergolden von Marzipan und Konfekt verbot. Für Nicht-Adlige war die süße Mandelpaste damals eine Arznei, die von Apothekern hergestellt und verkauft wurde. Marzipan in Form von Küchlein und Fladen galt als Stärkungsmittel für Kranke, aber auch als Aphrodisiakum. Wohlhabende Bürger schätzten diese „Medizin“ so sehr, dass sie zu jedem Fest ganze Berge davon auftragen ließen. Und so verordnete auch die Stadt Lübeck ihren Einwohnern 1612 mehr Bescheidenheit „bey Verlöbnissen, Hochzeiten, Kindbetten, Gevatterschaften (= Taufen), Begräbnissen … Nach der Mahlzeit soll kein Confect noch Marcepan, sondern nur Epffel, Birnen, Nüsse, Kuchen und dieser Lande Früchte auffgesetzt werden.“
Marci panis – Brot des Markus?
Rätselhafter als der Ursprung des Marzipan ist sein Name. Es ist nicht marci panis, „das Brot des Markus“, da sind sich die Gelehrten einig. Aber auch die beliebten Theorien, die das Wort von arabischen Schachteln oder Münzen ableiten, sind vor allem fantasievoll. Ich würde gerne glauben, dass der Name aus dem Arabischen kommt, aber im Orient nannte man Marzipan noch nie mawtaban. In persischen und arabischen Rezepten des 13. Jahrhunderts hieß es faludhaj oder lawzinaj, von lawz für Mandeln. Und obwohl die Araber viel länger in Andalusien waren als auf Sizilien, taucht das Wort marzapane zum ersten Mal um 1340 in Italien und Südfrankreich auf. Vermutlich wurde auch gar nicht allzuviel dieses Konfekts über Venedig aus dem Orient eingeführt, denn schon im 14. Jahrhundert verbreitete sich das Rezept für Marzipan in ganz Europa.
Spanische und italienische Klöster entwickelten bald wahre Meisterschaft in der Marzipanherstellung, denn die süße Masse durfte auch in der Fastenzeit gegessen werden. Marzipan galt aber auch als besondere Leckerei zu Ostern und Weihnachten. Der Adel delektierte sich dagegen das ganze Jahr über an der neuen Leckerei und führte im 16. Jahrhundert einen süßen Gang mit Konfekt, Marzipan und kandierten Früchten als Abschluss eines Menüs ein. Marzipan „für alle“ gab es erst im 19. Jahrhundert, auch in Lübeck und Königsberg, den deutschen Marzipan-Hochburgen. Ausschlaggebend war offenbar die Ansiedlung von Schweizer Zuckerbäckern, die Familienrezepte mitbrachten. Um 1700 gehörten 38 der 42 Konditoreien in Venedig Familien aus Graubünden; als 1766 die Allianz der beiden Regionen zerbrach, wurde ihnen die Gewerbeausübung verboten. Die Brüder Pomatti übernahmen 1809 eine Konditorei in Königsberg, gründeten dort die erste „Marzipanfabrik“ und wurden bald darauf Hofkonditoren. Der Zuckerbäcker Maret ließ sich 1796 in Lübeck nieder; wenige Jahre später fing der gebürtige Ulmer Johann Georg Niederegger als Geselle bei ihm an. Der Anfang einer Marzipan-Dynastie.
Marzipangänse für die Zarin
Vor allem zu Ostern Weihnachten wurden Berge von Marzipan aus Lübeck und Königsberg in alle Himmelsrichtungen verschickt. Niederegger lieferte 1858 lebensgroße Gänse an den russischen Zarenhof, und eine Hofdame berichtete: „Der Marzipan hat gestern geradezu Furore in Zarskoje-Selo gemacht … Und was tut die alte Kaiserin damit? Sie stippt jeden Morgen den Marzipan in ihren Kaffee. Ich glaube, wenn die Geschwister Niederegger diesen gastronomischen Verstoß hören, so betrachten sie das als persönliche Beleidigung.“ Die Zarin war in Berlin aufgewachsen, wo die feine Gesellschaft damals aber ausschließlich Marzipan aus Königsberg knabberte. Ihn in den den Kaffee zu tunken, war natürlich unfein und hat auch nur Sinn, wenn das Konfekt schon etwas länger liegt und trocken geworden ist …
"Marzipan – Konfekt aus dem Orient" was originally posted by Petra Foede on Kaffeeklatsch. All rights are reserved by the author.